Diagnose “Migräne”: Kriterien und Leitfaden

Migräne ist eine Form der primären Kopfschmerzerkrankungen, für die keine konkrete Ursache bekannt ist. Typischerweise zeichnet sich Migräne durch anfallsartig auftretende, mässig bis schwer ausgeprägte Kopfschmerzattacken aus, die meist einseitig auftreten und oft pulsierend sind. Diese Schmerzen verstärken sich bei körperlicher Aktivität und können unbehandelt zwischen vier und 72 Stunden anhalten. Häufig werden sie von Übelkeit und/oder Licht- und Lärmüberempfindlichkeit begleitet.1

Studien zur globalen Krankheitslast stufen Migräne als das weltweit dritthäufigste Krankheitsbild ein.2 Die Kriterien um die Diagnose “Migräne” stellen zu können sind klar definiert und können durch neurologische Untersuchungen validiert werden.

 

IHS Diagnosekriterien für Migräne

Die Diagnose der Migräne erfolgt anhand der Kriterien der International Headache Society (IHS).1

A. Mindestens fünf Attacken, welche die Kriterien B bis D erfüllen.

B. Kopfschmerzattacken, die erfolglos behandelt oder unbehandelt 4 bis 72 Stunden anhalten.

C. Der Kopfschmerz weist mindestens zwei dieser vier Charakteristika auf: 

  1. einseitige Lokalisation
  2. pulsierender Charakter 
  3. mittlere oder starke Schmerzintensität
  4. Verstärkung durch körperliche Routineaktivitäten oder führt zu deren Vermeidung

 

D. Während des Kopfschmerzes besteht mindestens eines dieser Symptome: 

  1. Übelkeit und/oder Erbrechen
  2. Photophobie und Phonophobie 

 

E. Ausschluss anderer Kopfschmerzarten (nach ICHD-3). 

 

Je nach Form der Migräne können die Kriterien etwas abweichen. 

 

Migräne-Diagnose bei Kindern

Bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren treten Migränekopfschmerzen eher beidseitig auf. Das Auftreten von einseitigen Kopfschmerzen zeigt sich meist erst im späten Jugend- oder frühen Erwachsenenalter. Typischerweise sind Migränekopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen frontotemporal lokalisiert. Okzipitale Kopfschmerzen sind bei Kindern selten und erfordern eine sorgfältige diagnostische Abklärung.1

 

Durch Anamnese zur Diagnose “Migräne” 

Um zu einer Diagnose zu kommen, sollten folgende Schlüsselfaktoren abgefragt werden:2

  • Lokalisation des Schmerzes
  • Qualität und Stärke des Schmerzes (drückend, stechend, klopfend, akut oder langsam zunehmend auftretend)
  • Häufigkeit und Dauer der Schmerzen pro Monat oder pro Woche
  • Begleitsymptome: Sehstörungen, Licht- und Lärmempfindlichkeit, Übelkeit
  • Zeitverlauf: Start des Kopfschmerzleiden, Veränderung der Kopfschmerzen im Verlauf
  • Therapie: Aktuelle Medikamente, Dosis und Häufigkeit, bisherige Therapien
  • Schlafqualität (Einschlafen/Durchschlafen/Entspannen)
  • Leistungsfähigkeit und Lebensqualität (privat und beruflich)

 

Migräne-Tagebuch hilft bei Diagnose 

Bei der Diagnosestellung kann ein Migräne-Tagebuch oder ein Migräne-Kalender hilfreich sein. Diese Aufzeichnungen unterstützen dabei, den Verlauf der Erkrankung auch noch nach Tagen oder Wochen zuverlässig nachverfolgen zu können.

In der Regel umfasst ein Migräne-Tagebuch oder ein Migräne-Kalender Folgendes:3

  • Häufigkeit und Dauer der Kopfschmerzen
  • Schmerzintensität
  • Begleitsymptome
  • Auslöser
  • Vorzeichen
  • Medikamenteneinnahme mit Wirksamkeit und Verträglichkeit 

 

Als behandelnder Arzt erhalten Sie somit einen guten Überblick über die Symptome und den Verlauf der Erkrankung. Um die Behandlung im Auge zu behalten, ist es ratsam, das Migräne-Tagebuch oder den Migräne-Kalender auch nach der Diagnose fortführen zu lassen.3

 

Weiterführende Diagnosetools 

Patienten mit charakteristischen Symptomen und ohne Alarmsignale benötigen keine speziellen Tests, können aber von einem Schnelltest profitieren.

 

Schnelltest für Migräne 

Anhand eines Schnelltests kann die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Migräne ermittelt werden. Wenn zwei von drei Fragen positiv beantwortet werden, ist die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Migräne sehr hoch:4

Frage 1: Wurden Ihre Aktivitäten während der vergangenen drei Monate über einen Tag lang oder länger durch Kopfschmerzen eingeschränkt?
Frage 2: Leiden Sie während Ihrer Kopfschmerzen an Übelkeit oder Erbrechen?
Frage 3: Stört Sie Licht, wenn Sie an Kopfschmerzen leiden?

 

Neurologische Untersuchungen 

Bei Patienten mit auffälligen Befunden sind oft neurologische Untersuchungen notwendig, um die Diagnose “Migräne” zu bestätigen. Die häufigsten Untersuchungen umfassen:

  • Körperliche und neurologische Untersuchung (Neurostatus)
  • Bildgebende Verfahren wie Computertomografie (CT) und Magnetresonanz-Imaging (MRI)
  • Lumbalpunktion

 

Differenzialdiagnosen 

Kopfschmerz ist nicht immer gleich Migräne: Welche Warnsignale nicht übersehen werden sollten.

Für die Diagnostik einer Migräne ist es wichtig, den primären vom sekundären Kopfschmerz zu unterscheiden. In manchen Fällen können beide Schmerzarten nebeneinander auftreten oder sich bedingen.3

Fehlen akute oder chronische Warnsignale für Läsionen, kann der Kopfschmerz folgendermassen unterschieden werden:2

 

1. anfallartiger, heftiger, meist einseitiger Kopfschmerz:

  • Dauert der Kopfschmerz 4 Stunden bis 3 Tage (auch bilateral), handelt es sich um Migräne.
  • Dauert der Kopfschmerz 15 Minuten bis 3 Stunden, handelt es sich um Clusterkopfschmerzen.
  • Dauert der Kopfschmerz pro Attacke mit elektrisierendem Schmerz weniger als 3 Minuten, handelt es sich um Neuralgie.    

 

2. andauernder, wellenförmiger, dumpfer, meist bilateraler Kopfschmerz:

  • Dauert der Kopfschmerz 30 Minuten bis 7 Tage und bis zu 15 Tagen pro Monat, handelt es sich um episodische Kopfschmerzen.
  • Dauert der Kopfschmerz länger als 15 Tage pro Monat, handelt es sich um chronische Spannungstyp-Kopfschmerzen

 

Bei Kopfschmerzen und fehlenden akuten oder chronischen Warnsignalen für Läsionen, aber folgenden Warnsignalen, sollte der Patient an ein Spital oder einen Spezialisten überwiesen werden:

  • neurologische Ausfälle
  • systemische Zeichen (Fieber, Meningismus)
  • allgemeine internistische Zeichen
  • Bewusstseinsstörungen
  • Alter > 50 Jahre
  • ungewohnte Intensität und Dauer der Schmerzen
  • progrediente Schmerzen
  • Therapieresistenz

 

Referenzen:

  1. Internationale Klassifikation von Kopfschmerzerkrankungen, 3. Auflage, ICHD-3. Abrufbar unter: https://ichd-3.org/de/ (letzter Zugriff am 12.09.2023)
  2. Martelletti P, Birbeck GL, Katsarava Z, Jensen RH, Stovner LJ, Steiner TJ. The Global Burden of Disease survey 2010, Lifting The Burden and thinking outside-the-box on headache disorders. J Headache Pain. 2013;14(1):13. doi: 10.1186/1129-2377-14-13. 
  3. Russell MB, Rasmussen BK, Brennum J, Iversen HK, Jensen RA, Olesen J. Presentation of a new instrument: the diagnostic headache diary. Cephalalgia. 1992;12(6):369-74. doi: 10.1111/j.1468-2982.1992.00369.x.
  4. Rapoport AM, Bigal ME. ID-migraine. Neurol Sci. 2004;25 Suppl 3:S258-60. doi: 10.1007/s10072-004-0301-9.
    Internationale Klassifikation von Kopfschmerzerkrankungen, 3. Auflage, ICHD-3. Abrufbar unter: https://ichd-3.org/de/ (letzter Zugriff am 22.11.2022)

Novartis stellt die aufgeführten Referenzen auf Anfrage zur Verfügung


CH2309299555